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Die 1970er Jahre waren ein Jahrzehnt voller Gegensätze und manchmal einer gewissen Orientierungslosigkeit: Disco und Punk, Jazz und Folk, Schlager und Krautrock sowie - ganz hoch im Kurs – „Abba“ und „AC/DC“, alles existierte nebeneinander. Viele große Popstars der 1970er Jahre - wie Abba, Neil Diamond, Rod Stewart, Elton John, Queen oder Fleetwood Mac, Eric Burdon - prägten die Musikszene über Generationen hinweg bis in die Gegenwart und gehören heute zu den ewigen Klassikern des Pophimmels.
Die 1970er Jahre begannen musikalisch mit dem Ende einer Ära, die die Jugendszene geprägt und verändert hatte. Am 10. April 1970 gab Paul McCartney offiziell die Auflösung der „Beatles“ bekannt. Noch im April brachte er sein erste Soloalbum „McCartney“ auf den Markt und im Mai erschien „Let It Be“, das letzte gemeinsame Album der „Fab Four“.
Allerdings kamen die Beatles 1970 in Großbritannien mit „Let It Be“ nur auf den zweiten Platz in den internationalen Charts. Den ersten Platz belegte „Bridge Over Troubled Water“ des US-Pop-Duos Simon & Garfunkel - für 33 Wochen führte es die Hitparaden an und hielt sich insgesamt fürDies war das "Jahrzehnt der klaren Fronten". Hatten sich früher die Stilrichtungen oft gegenseitig befruchtet und ergänzt, so standen nun (möglicherweise analog zum sich gerade wieder verschärfenden Kalten Krieg) zwei die aktuelle Entwicklung hauptsächlich bestimmende "Musikblöcke" fast monolithisch nebeneinander: Pop (von bedingungslosen Anhängern als schöne und anspruchsvolle Musik angesehen, von unversöhnlichen Gegnern als kommerziell, gekünstelt und gesichtslos geschmäht) und Metal (von Fans wegen der instrumentellen Handarbeit sowie der Tatsache, dass fast alle Bands ihre Stücke selbst verfassten, für reell und unabhängig erachtet, von Verächtern als laut, hässlich und überhaupt unerträglich abgetan). Die Bezeichnung "Pop" etablierte sich endgültig als Genre-Oberbegriff. Seine Hauptvertreter standen zunächst meist in der Tradition der dem Umfeld des Punk entstammenden New Wave. Die Vorarbeit mit elektronischen Mitteln arbeitender Avantgardisten wie Kraftwerk, Brian Eno oder David Bowie trug besonders in der New Romantic-Szene um Ultra Vox und Culture Club reiche Frucht. Synthie-Pop-Gruppen wie Depeche Mode, die Pet Shop Boys oder Erasure wurden während des gesamten Jahrzehnts zur dominierenden Kraft im Popbereich. Außerdem gewann die elektronische Tanzmusik an Bedeutung, die den bereits abgeklungenen Disco-Trend mit anderen Mitteln fortsetzte.
Bisher hatte innerhalb der Popmusik eine gewisse Trennung zwischen Schwarz und Weiß geherrscht. Doch nach Michael Jacksons epochalem "Thriller"-Album gab es kein Halten mehr, denn auf dieser Platte waren alle Grenzen gesprengt. Scheinbar kunterbunt gemischte Elemente aus Soul, Funk, Synthiepop oder Hardrock ergaben eine organische Einheit, die restlos überzeugte. Fortan fand man Tina Turner, Elton John, Prince, die Eurythmics, Lionel Richie, Phil Collins oder a-ha meist problemlos im selbenPlattenregal des Fachhandels. Es dauerte nicht lange, bis die ersten Rapper die Charts stürmten.
Die wahren Erben Karlheinz Stockhausens werkelten derweil, meist nur von Insidern beachtet, an den Konzepten House, EBM und Industrial. Neben reichlichem Elektronikeinsatz stand der Rhythmus (der Beat) sehr im Vordergrund. Diese Vorarbeit sollte in den Neunzigern noch reiche Frucht tragen.
Ein gesondertes Popphänomen bildete ab 1980 zwischen Rhein und Elbe die Neue Deutsche Welle, die schon während der späten Siebziger im Underground existierte. Eigentlich dem Punk und New Wave entstammend, wurde auch diese Sparte bald von Synthieklängen beherrscht und firmierte als Deutschpop. Nachdem die Welle jedoch auf Betreiben diverser Plattenfirmen künstlich "aufgebauscht" wurde, brach sie um 1985 in sich zusammen.
Das Schicksal der NDW hatte schon vorher den gesamten sogenannte 77er Punk ereilt, nachdem der scheinbar grenzenlose Hype um die Sex Pistols verflogen war. Viele seiner Hauptvertreter hatten sich der New Wave angeschlossen, so dass die Fortentwicklung dem Underground vorbehalten war. Discharge wiesen 1982 mit "Hear Nothing, See Nothing, Say Nothing" den Weg zum Hardcore Punk. Parallel dazu entstand in den USA die Hardcore-Szene, die mit der disziplinierteren Spielweise des Heavy Metal Klänge mit höherer Durchschlagskraft erzielte. Kurz darauf entlehnten Metalbands einige Stilmittel des Hardcore, um ihrerseits höhere Härtegrade zu erreichen. Nun wetteiferten beide Sparten um das Privileg, sich als die Schnellsten und Härtesten betrachten zu dürfen - auf Hardcore-Seite durch die Entwicklung des weitaus extremeren Grindcore, im Metalsektor durch die Eskalation über Speed und Thrash zum Death Metal. Den Zuschlag erhielt 1989 die Band Terrorizer, die stilistisch beiden Wettbewerbern gleichermaßen zuzuordnen war. Die Extremleistungen des "World Downfall"-Albums konnten auch später nur unwesentlich übertroffen werden. Im Windschatten dieses Wettbewerbs entfaltete sich - wie natürlich auch in den Popmusikbereichen abseits der reinen Tanzmusik - ein reges kreatives Potenzial. Albumklassiker vom Schlage eines "Master Of Puppets" von Metallica, "Ample Destruction" von Jag Panzer oder "Awaken The Guardian" von Fates Warning treiben heute noch vielen Metalheads Freudentränen in die Augen.
Während der Eiserne Vorhang zu fallen begann, bahnte sich bereits die Aufhebung der strikten Trennung zwischen Pop und Metal an. Faith No More zeigten mit "The Real Thing", dass diese Verknüpfung doch um einiges leichter war als eine Vereinigung von Feuer und Wasser, an die man angesichts (missglückter) früherer derartiger Versuche unwillkürlich denken musste. Nicht nur datumsbedingt waren die Achtziger vorbei. knapp drei Jahre in den Top-Ten. In Deutschland stand das Album immerhin 18 Wochen auf Platz Eins und in den USA zehn Wochen. Weltweit verkaufte sich „Bridge Over Troubled Water“ rund 25 Millionen Mal. Aber auch Simon & Garfunkel trennten sich nach diesem Mega-Erfolg.
Und es gab im Jahr 1970 weitere Abschiede von legendären Pop-Größen der „Drugs, Rock & Roll-Szene“: Gitarren-Virtuose Jimi Hendrix und Janis Joplin starben ebenso wie Jim Morrison von den Doors. Andere Stars aus den 1960er Jahren liefen dagegen zur kreativen Topform auf, unter anderem die Rolling Stones mit „Sticky Fingers“ und „Exile On Main Street“ oder The Who mit „Who’s Next“.
Daneben prägten Progressiv-Rock-Gruppen den Sound der frühen 1970er Jahre: Emerson, Lake & Palmer, Genesis oder Yes und natürlich die Gruppe Pink Floyd mit ihren Songs „Dark Side of the Moon“ (1973) und „Wish You Where Here“ (1975) führten die Charts an und hielten sich dort über Jahre. Auch Hard-Rock-Bands füllten mit ihrem bombastischen Sound alle großen Stadien der Welt in den 1970er Jahren. Unter ihnen Led Zeppelin, Deep Purple oder Black Sabbath und später AC/DC.
Miles Davis gelang mit „Bitches Brew“ im Jahr 1970 ein Highlight in der Sparte Jazz-Rock. Die Rockband Santana mixte Latino-Rock mit Jazz-Elementen und auch die frühen Hits der Band Chicago war vomJazz-Rock beeinflusst, bevor sie sich später eher den softeren Mainstream-Klängen anpassten.
Besonders schillernd war der Glitter- und Glamrock der 1970er Jahre, der Musik und Mode gleichermaßen beeinflusste. Outfit und Auftritte waren bunt und farbenprächtig. Bekannteste Protagonisten waren unter anderem David Bowie, Roxy Music mit Bryan Ferry, Joy Division oder T.Rex mit Marc Bolan. Teilweise androgyn und homoerotisch angehaucht, waren ausgefallene Glitzerkostüme und geschminkte Gesichter das Markenzeichen der Künstler dieses Genres. Auf dieser Welle schwammen später auch Alice Cooper, Suzie Quatro, Sweet oder Slade erfolgreich mit.
Folk-Musiker wie Bob Dylan oder Neil Young standen nach wie vor hoch im Kurs und bereiteten den Weg für den Folk-Rock, wie er von Don McLean, Gordon Lightfoot oder Ralph McTell gespielt wurde. Diese Stilrichtung gab auch der Liedermacherszene in Deutschland Rückenwind: Hannes Wader, Wolf Biermann oder Reinhard Mey und andere konnten viele Fans für ihre Open Air-Auftritte gewinnen und füllten große Hallen genauso wie kleine Clubs. Parallel dazu erlebte auch der deutsche Schlager eine Blütezeit - Thomas Heck mit seiner ZDF-Hitparade war Kult. Hier begann Peter Maffay seine Karriere, genauso wie Jürgen Markus oder Chris Roberts.
Eine spezielle Rockvariante der 1970er Jahre war der Krautrock, der etwas im Verborgenen blühte. Aber die Bands der 70er wie Kraftwerk oder Tangerine Dream prägten mit ihrem Sound viele Musikergenerationen, auch weit über die heimatlichen Grenzen hinaus. Mit dem Discosound, von Frank Farian - teilweise mit Giorgio Moroder - produziert, kamen Gruppen wie Boney M. oder Silver Convention sowie die Disco-Queen Donna Summer in die weltweiten Charts.
Für den absoluten Höhepunkt der weltweiten Disco-Welle sorgten dann aber die Bee Gees - bereits bekannt aus den 60er Jahren - mit einem furiosen Comeback. Die Disco-Musik hatte sich ursprünglich Mitte der 1970er Jahre in den USA entwickelt. Die Wurzeln lagen im schwarzen Funk & Soul. Herausragende Interpreten aus der Anfangszeit waren unter anderem James Brown, die Temptations, Kool & The Gang oder Earth, Wind & Fire. Zur wahren Massenbewegung wurde der Disco-Sound aber mit dem Sound-Track der Bee Gees zum John-Travolta-Film „Saturday Night Fever“ im Jahr 1977.
Als Gegenentwurf zur Pop- und Disco-Welle des Mainstreams, aber auch zu den Super-Gruppen des Rocks und der Hippiezeit, entwickelte sich die Punkszene ab Mitte des Jahrzehnts. Sex Pistols oder The Clash sorgten mit ihren provozierenden Auftritten und Outfits für manchen Skandal. „No Future“ war der Slogan, der den Frust der Anhänger zusammenfasste. Einzig der „Reggae“ fand Gnade vor den Ohren der Punks, da auch er der musikalische Ausdruck einer unterdrückten Gesellschaftsschicht war. Unumstrittener King of Reggae war Bob Marley, der seine Rastafari-Musik von Jamaika nach Großbritannien brachte und von dort seinen weltweiten Siegeszug antrat. Aus der Reggae- und Punk-Szene entwickelte sich Ende der 1970er Jahre die New Wave-Bewegung - unter anderem mit den Talking Heads, Blondie oder Patti Smith. Sie legten bereits in dieser Zeit das Fundament für ihre Erfolge in den 1980er-Jahren.